Ein Huldigung an die Schönheit des Strandes. So viel Weite, um zu sein. So viel Raum ohne Wertung. So viel Musik in meinen Ohren.
Seine Haut war peitschendes Ockergrau und er trug ein Kleid aus Schuppen, schillernd an der Oberfläche, darunter aber undurchdringlich wie Meeresgrün. Blasen aus Gischt umspülten seinen Mund, dort wo Land zu Meer wird und Salzwasser auf Sand spritzt, Wasserwellen brechen und wie abertausende, weiße Zungen an Körnern aus Lockersediment lecken.
An jenem Tag war die Stimmung des Strandes zweierlei, schwankte zwischen Aufgewühlt-Sein und Augenblicken der Heiterkeit. Sein Lächeln zeigte sich nur, wenn Sonnenstrahlen aus Wolken hervorbrachen und ihm für wenige, kurze Momente ein Schmunzeln entlockten: auf den Sicheldünen etwa, den Lachfalten des Strandes, deren Glimmerpartikel und Quarzkörner dann zu glitzern begannen. Oder im Dünengrass, seinem Haupthaar, das sich aus schattigen Farben zu Wogen aus Silber- und Gold aufschwang. Ihn umfloss, und sich hin und her wiegte in der Brise; je nach Reflektion der Sonnenstrahlen mal hier, mal da funkelte.
Ich stand am Rande dieser Pracht. Schritt auf der alten Bahntrasse an der Grenze seines Antlitzes entlang. Sein Gesicht, welches hier von Backsteinen und Asphalt zerschnitten wurde. Menschenwerk als Peeling aufgetragen auf seine Haut. Harter Grund, auf dem keine Körner knirschen, wenn man barfuß läuft. Immerhin: ich hätte nur einen Meter weiter nach links schreiten müssen, dann wären meine Füße in seinen Sandschuppen versunken. Doch heute begnügte ich mich mit: Zusehen, Fühlen und Zuhören.
Ich stand. War. Und ließ mich von der immerwährenden Veränderung seiner Emotionen verzaubern. Der Strand, er war voller Tiefe und Kraft im Wehen und Wogen der Elemente – Wasser und Wind.
Wasser und Wind, die seine Topografie modellierten und seine Stimmung zu einer sich stätig verändernden Szenerie in der Landschaft werden ließen. Der Strand war ein Prozess aneinander gereihter Erscheinungen und Empfindungen. Farbschattierungen als ein sich stets veränderndes Kaleidoskop. Geräusche, ein Aufspritzen von Akustikwellen im organischen Bewusstsein. Windböen, die wie Gänsehaut kribbelten. Brechende Wellen am Horizont.
Eine Regung im Gesicht des Strandes glitt über in die nächste – und mit ihr das Leben.
Austernfischer, Möwen, Seeschnepfen, Strandläufer, – Vögeln vieler Arten – Insekten und andere Kleinstlebewesen, Kaninchen und ja auch der Mensch schwammen in dieser Gemütslage mit. Manche waren bereits zur Patina des Strandes geworden. Andere schwebten über ihm oder drangen in ihn hinein. Gelegentlich lief das Leben auch einfach über sein Gesicht hinweg und hinterließen dabei Spuren im Sand. Viele menschliche Passanten waren nicht mehr zugegen; vom Wind in ihre Schutzhütten getrieben. Oder war es doch der Hunger zur Abendbrotzeit?
Der Strand und ich zelebrierten unser Rendezvous also zu zweit. Ich öffnete meine Augen wieder und blickte ihn für eine ganze Weile lang an. Sein Gesicht ergoss sich in den Raum, war so weit und so wunderschön. Von der Symmetrie der Rippel und Dünenkämme bis hin zu den Windungen der Priele, die Morphologie des Strandes begann mir ihre Geschichte zu erzählen. Der Strand, er blickt zurück, lächelte wissend, voller Anmut und war sich seiner Eleganz mit charmanter Selbstverständlichkeit bewusst.
Wie für alle anderen Lebensformen, so galt auch für mich: Ich durfte hier sein. Mich vom Strand umhüllen lassen, Teil seiner Welt werden und mit ihm geschehen. Es gab nichts weiter zu tun oder zu denken als den Strand, Strand sein zu lassen und die Elemente, die Elemente. Die Böen, sein Atem auf meiner Haut und die Strandkörner wehende Teilchen an meinen Füßen.
Und während all dies einfach so geschah, zerfloss ein Achtel Regenbogen am östlichen Rand des Horizonts. Wie ein Wasserfall glitten lila-, blau-, grün-, gelb-, orange-, rote Fäden aus Licht vom Wolken- in das Wassermeer. Verband den Himmel mit dem Ozean, bevor der Regenbogen von der See aufgesogen wurde, wie Tinte auf Pergamentpapier.
Yorumlar